Im stressigen Alltag vieler Unternehmer gibt es kaum Möglichkeiten, innezuhalten und sich neu auszurichten. Ilona Dörr-Wälde schafft mit ihrer Initiative „Kloster auf Zeit“ eine Möglichkeit, durch eine geistliche Reise Ruhe und neue Kraft zu tanken. Eine Oase ist für sie die Abtei Marienstatt.

Von England nach Marienstatt

Es ist der erste Freitag im Dezember. Der Winter ist eingekehrt, das merkt man heute ganz deutlich. Der Atem ist sichtbar, klirrende Kälte umhüllt das alte Klostergebäude in Marienstatt. Nach und nach finden sich die unterschiedlichsten Besucher in der warmen Eingangshalle ein, begrüßen und umarmen sich freudig. Ilona Dörr-Wälde ist sofort ins Gespräch vertieft, fragt die Besucher, wie es ihnen geht, und ist sichtlich begeistert von den Geschichten, die jeder Einzelne heute mitbringt. Die Gruppe, die sich hier in Marienstatt zusammenfindet, kennt sich bereits. Im Sommer starteten sie zu einer Pilgerreise in Großbritanien auf den Spuren der iro-schottischen Mönche.

Mehr als ein viertel Jahr ist vergangen, bis sich die Reisegruppe am heutigen Abend endlich wiedersieht. Die in der Eingangshalle begonnenen Gespräche werden eifrig beim gemeinsamen Abendessen fortgeführt. Bei einigen Teilnehmern hat sich offensichtlich viel getan, angeregt erzählen und diskutieren sie. Der Auftakt vergangenen Sommer hat merkliche Spuren hinterlassen. Positive Spuren, wie es scheint.

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Innehalten, neu ausrichten

Ilona Dörr-Wälde ist Initiatorin der geistlichen Reise, die über ein Jahr hinweg insgesamt vier Stationen durchläuft. Beim Besuch der „Northumbria Community“ im August beschäftigte sich die Gruppe mit dem Lebensstil der iro-schottischen Mönche, die damals England missionierten. Die Teilnehmer nahmen an den Tagesgebeten einer Gemeinschaft teil, tauschten sich aus, besprachen Träume, aber auch persönliche Baustellen. Im Laufe der Woche wuchsen sie richtig zusammen, während sie englische Wahrzeichen und historische Schauplätze der damaligen Mönche besichtigten – etwa die „Holy Island“ oder „Cuthbert’s Cave“.

Nach dem Abendessen startet der erste kleine Programmpunkt, bei dem Ilona Dörr-Wälde in das Thema des Wochenendes einführt. Anschließend finden alle noch etwas Zeit, sich intensiv auszutauschen. Einiges ist passiert seit England. Manche Teilnehmer sind in den vergangenen Monaten Fragen nachgegangen, auf die sie Antwort suchten. Andere haben ganz spezifische Punkte in ihren Alltag integriert.

Unternehmer mit großer Verantwortung finden in der Pilgerreise wieder Ruhe

So auch Andreas Mankel, der heute mit seiner Frau angereist ist. Der Bonner Finanzberater kann ein Lied davon singen, wenn der Alltag mit seinen Baustellen unbezwingbar erscheint. Ganze 17 Gesellschaften koordiniert der selbstständige Unternehmer und deckt dabei die Bereiche Immobilien, erneuerbare Energie, Unternehmensbeteiligung und Land- und Forstwirtschaft ab. Eine immense Verantwortung und noch mehr Arbeit. „Ach, an die bürokratischen Hürden habe ich mich mittlerweile fast schon gewöhnt“, scherzt er in der Runde. Doch auch ihm ist bewusst, dass er und seine ebenfalls selbstständige Frau unbedingt Auszeiten brauchen, um sich neu auszurichten und vor allem neue Energie zu tanken.

Andreas Mankel erzählt der Gruppe von seinem prägendsten Moment in England: „Die Wattwanderung war für mich etwas ganz Besonderes. Bewusst still zu sein, die Seele atmen lassen. Das hat mir richtig gut getan.“ Durch die Zeiten der Stille konnte er sich wieder darauf besinnen, was für ihn wirklich zählt. Der tiefen Frieden, beispielsweise, den er in seinem christlichen Glauben findet und der ihm in seinen alltäglichen Herausforderungen Identität und Halt gibt. Auch die damals gestellte Frage „Wer sind deine Gefährten?“ bewegt er immer noch in seinem Herzen. Ein Thema, mit dem sich auch die anderen Teilnehmer auseinander gesetzt haben.

Eine neue Website begeistert noch mehr Menschen für die geistliche Reise

Gerade diese Gespräche und das gemeinsame Anteilnehmen am Leben der anderen sind für Ilona Dörr-Wälde ein großer Motivator und Bestätigung, dass die angebotene geistliche Reise für viele Menschen ein echter Gewinn ist. „Ich wünsche mir, dass diese Momente der Stille, die wir in unseren vier Etappen erleben, auch in unseren Alltag überschwappen und wir uns Zeit nehmen, in aller Hektik kurz einen Moment für uns zu haben.“ Ihr spirituelles Angebot soll zukünftig noch mehr Menschen erreichen.

„Ich arbeite gerade intensiv an einer Website“, erzählt sie, während sie sich noch eine Tasse Tee einschenkt. „Wir wollen mehr Menschen einladen, Teil dieser Reise zu sein und das zu erleben, was ihr gerade erlebt.“ Ilona Dörr-Wälde hat dabei unterschiedliche Menschen im Blick: selbstständige Unternehmer, Dienstleister, Menschen, die ihre Kraft in sinnhafte Projekte investieren und auch ein spirituelles Interesse haben. Sie weiß aus Erfahrung, wie viele ihrer Freunde und Bekannte damit kämpfen, sich für einige Augenblicke herauszunehmen und sich im Alltag Oasen zu schaffen, in denen sie sich der Besinnung widmen und ihre inneren Kraftquellen stärken.

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Teilnehmer werden zu Weggefährten

Doch auch der Aspekt der Gefährtenschaft steht ganz weit oben auf ihrer Liste. Bereits in England fragte sich die Reisegruppe ganz konkret, wer Gefährten, Mitstreiter, Unterstützer im Leben sind. Ein Prozess, der zwar erst angestoßen wurde, aber schon erste Früchte trägt. Eine Teilnehmerin beispielsweise hat sich bereits den Gefährten von Rainer Wälde und Ilona Dörr-Wälde angeschlossen, die sich einmal im Monat treffen. Andere haben wieder alte Freunde aufgesucht und angefangen, in Beziehungen zu investieren.

„Ich wünsche mir, dass wir auch im Alltag unser persönliches Kloster finden und regelmäßig aufsuchen“, erzählt sie der Gruppe, die bis zum Nachtgebet zusammen sitzt. Im nächsten Halbjahr werden sich alle noch zwei weitere Male hier in Marienstatt treffen, sich mit sich selbst und ihren Lebensfragen und Träumen auseinandersetzen, Gefährtenschaft leben und Ruhepole und Gemeinschaft finden. Ein Angebot, mit dem Ilona Dörr-Wälde zukünftig noch weitere Interessierte zum „Kloster auf Zeit“ einlädt.

Am späten Abend findet abschließend das „Night compline“ statt – das gemeinsame Nachtgebet, das im Wechsel zwischen den Teilnehmern gebetet wird. Nicht unbekannt für diejenigen, die im englischen Kloster schon Teil der Gebetsgemeinschaft waren. Dieser Moment der Stille ist bezeichnend für die Stationen, die Ilona Dörr-Wälde mit der Gruppe anläuft. Innehalten, sich mit sich selbst beschäftigen, sich neu ausrichten und auch im hektischen Alltag Ruhepole finden – all das sind Themen, die sie ihren Reisegefährten mitgeben und erlebbar machen möchte.


Micha Kunze